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Wittgensteins Begriff des Regelfolgens und die Grundlagen
einer Theorie sprachlicher Bedeutung
Inhalt:
I. Einleitendes ............................................................................................... 1
II. Pragmatische Bedeutungstheorien ............................................................ 3
III. Probleme mit dem Regelbegriff............................................................... 5
IV. Wittgensteins Begriff des Regelfolgens................................................... 7
1. Die zentralen Thesen ...................................................................... 7
2. Die platonistisch-intellektualistische Auffassung vom
Regelfolgen ........................................................................................ 8
3. Wittgensteins Regreß-Argument..................................................... 10
4. Zur »Epistemologie des Regelfolgens«........................................... 15
5. Wittgensteins Begriff implizit normativer Praktiken ....................... 17
V. Regelfolgen als intentionales Handeln...................................................... 21
I. EINLEITENDES
Regeln oder Normen und von ihnen geleitetes Handeln spielen in wohl allen
Bereichen sozialer Praxis eine wichtige Rolle: Im Straßenverkehr richten wir uns
nach Verkehrsregeln, beim Spielen nach Spielregeln, bei der Nahrungsaufnahme
befolgen wir Benimmregeln, beim Rechnen Rechenregeln, beim Sprechen und
Schreiben Grammatik- und Rechtschreibregeln, unser Denken im allgemeinen, so
wird gesagt, richtet sich nach den Regeln der Logik, unser Umgang miteinander und
mit anderen Lebewesen wird von juristischen und moralischen Normen geleitet usw.
Regeln oder Normen können daher aus den verschiedensten Perspektiven
philosophisch von Interesse sein, und Wittgensteins Motive, sich mit diesen
Begriffen zu beschäftigen, waren ebenfalls vielfältig. So finden wir in seiner
Spätphilosophie Diskussionen des Begriffs des Regelfolgens in vielen Kontexten:
Im Rahmen der Erkenntnistheorie, der Philosophie der Psychologie, der Philosophie
Wittgensteins Begriff des Regelfolgens und die Grundlagen einer Theorie sprachlicher Bedeutung
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der Mathematik, der Philosophie der Logik und nicht zuletzt der
Sprachphilosophie.
1
Heute interessiert mich dieser Begriff ausschließlich aus der Perspektive des
Sprachphilosophen. Dabei geht es mir jedoch nicht um
Wittgensteins
Sprachphilosophie, nicht um den sprachphilosophischen Gebrauch, den
er
von
seinem Begriff des Regelfolgens macht, sondern um die Möglichkeit, diesen Begriff
für eine Weise des Nachdenkens über Sprache fruchtbar zu machen, die
Wittgenstein selber sehr ferngelegen hat: nämlich für eine systematische Theorie
sprachlicher Bedeutung. Ich werde im folgenden zunächst kurz skizzieren, in
welcher Weise Wittgensteins Begriff des Regelfolgens – der Ansicht vieler
Sprachphilosophen zufolge – die Grundlage einer philosophischen Theorie
sprachlicher Bedeutung abgeben soll. Anschließend werde ich diesen Begriff selber
ausführlich diskutieren und argumentieren, daß er die ihm von diesen
Sprachphilosophen aufgebürdete theoretische Last nicht tragen kann. Schließlich
werde ich kurz versuchen, eine sprachphilosophische Moral aus diesem Scheitern zu
ziehen.
II. PRAGMATISCHE BEDEUTUNGSTHEORIEN
Eine der zentralen sprachphilosophischen Fragen ist die nach dem Charakter
sprachlicher Bedeutung: Was heißt es, daß sprachliche Ausdrücke das bedeuten,
was sie bedeuten? Was heißt es, sprachliche Ausdrücke zu verstehen und mit ihnen
etwas zu verstehen zu geben? Was heißt es, sich sprachlich zu verständigen? Die
Abfolge der Fragen deutet an, daß ich mit dem Gros der analytisch orientierten
Sprachphilosophen der Meinung bin, daß der primäre Ort sprachlicher Bedeutung
die Kommunikation ist, daß wir das Phänomen der sprachlichen Bedeutung in
einem primären Sinn verstanden haben, wenn wir verstanden haben, welche Rolle
sprachliche Ausdrücke in der sprachlichen Verständigung spielen. Des weiteren
gehe ich davon aus, daß sprachliche Bedeutung in einem bestimmten Sinn durch den
Gebrauch
bzw. die
Verwendung
sprachlicher Ausdrücke konstituiert wird. Eine
1
Bei der Zitation von Wittgensteins Schriften verwende ich folgende Kürzel: PU:
Philosophische
Untersuchungen
, in: Werkausgabe Bd. 1, Frankfurt/M. 1984; BGM:
Bemerkungen über die
Grundlagen der Mathematik
, Werkausgabe Bd. 6, Frankfurt/M. 1984; BB:
The Blue and
Brown Books
, Oxford 1958; ÜG:
Über Gewißheit
, in: Werkausgabe Bd. 8, frankfurt/M. 1984.
Wie üblich zitiere ich PU und ÜG mit Angabe des Paragraphen, alle anderen Texte mit Angabe
der Seitenzahl.
Wittgensteins Begriff des Regelfolgens und die Grundlagen einer Theorie sprachlicher Bedeutung
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philosophische Bedeutungstheorie wäre demnach eine Theorie darüber, wie
sprachliche Ausdrücke verwendet werden müssen, damit sie im Rahmen
wechselseitiger Verständigung das bedeuten können, was sie bedeuten. Dies ist
vielleicht gleichzeitig die allgemeinste Definition der heute so beliebten Ausdrücke
»Gebrauchstheorie der Bedeutung« oder »pragmatische Bedeutungstheorie«.
Ich möchte nun grob skizzieren, wie eine solche Theorie aussehen kann und welche
Rolle der Regelbegriff darin spielen soll. Dazu ist es sinnvoll, einen kurzen Blick
auf die vor allem in Amerika so einflußreiche Sprachtheorie Rudolf Carnaps zu
werfen. Die Disziplin der formalen Semantik, wie wir sie bei Carnap (in
Fortführung von Gedanken Freges und des jungen Wittgenstein) ausgeprägt finden,
besteht im wesentlichen darin, die semantische Struktur unserer Sprache – d.h. die
bedeutungskonstitutiven logischen Zusammenhänge ihrer Sätze – zu untersuchen,
indem man sogenannte »künstliche«, in ihrer Struktur sehr vereinfachte Sprachen
konstruiert. Diese Konstruktion erfolgt dabei schlicht dadurch, daß für die zu
konstruierende Sprache, die sogenannte Objektsprache, in einer anderen Sprache,
der sogenannten Metasprache, Regeln formuliert werden, Regeln, die anweisen, wie
Ausdrücke der Objektsprache zu bilden und wie wohlgebildete Ausdrücke zu
interpretieren sind. Nun mag es zwar sein, daß die künstlichen Sprachen hinsichtlich
ihrer semantischen Struktur ein Modell unserer Sprache sein können und insofern
einen wichtigen bedeutungstheoretischen Beitrag leisten. Der Gedanke einer
Bedeutungskonstitution durch metasprachliche Regeln
hingegen läßt sich unmöglich
in eine Theorie sprachlicher Bedeutung übernehmen: Wenn die Ausdrücke unserer
Sprache ihre Bedeutungen dadurch erhielten, daß sie ihnen durch eine Metasprache
explizit zugewiesen werden, dann wäre es nicht möglich, eine Sprache zu erlernen,
ohne bereits über eine entsprechende Metasprache zu verfügen, für die sich das
Problem der Bedeutung dann in genau derselben Weise erneut stellte.
Der naheliegendste Weg, die Einsichten der formalen Semantik im Rahmen einer
philosophischen Bedeutungstheorie zu bewahren, besteht darin, die expliziten
metasprachlichen Bedeutungs-Regeln nur noch als
Beschreibung
oder
Ausdruck
von
Verhältnissen zu begreifen, die in der Praxis einer Gemeinschaft von Sprechern
bestehen. Die Brücke von der formalen Semantik zur Bedeutungstheorie bildet
damit eine Theorie regelgeleiteter Praxis, die zu klären hat, wie die von der
formalen Semantik rekonstruierten Bedeutungs-Regeln in der Praxis von
Sprecherinnen und Sprechern realisiert sein können, was es überhaupt heißen kann,
daß eine Sprache regelgeleitet ist, was es heißt, solche Regeln zu beherrschen usw.
– ich werde eine solche Theorie im weiteren eine
(sprachphilosophische) Pragmatik
nennen. Dabei wird gleichzeitig deutlich, daß die philosophische Klärung des
Bedeutungsbegriffs zu einem großen Teil an diese Theorie übergeht.
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Zusammenfassend und vereinfachend kann man also sagen, daß eine pragmatische
Bedeutungstheorie aus zwei Untertheorien besteht, einer Semantik, die die
Bedeutungsstruktur
einer Sprache als ein System von Bedeutungs-Regeln
rekonstruiert, und einer Pragmatik, die den
Inhalt
des Bedeutungsbegriffs dadurch
klärt, daß sie die von der Semantik aufgestellten Regeln als Züge einer sozialen
Praxis interpretiert.
Eine pragmatische Theorie der Bedeutung in diesem Sinn beansprucht, das
Phänomen der sprachlichen Bedeutung letztlich ohne Rest auf eine bestimmte Form
von Praxis
zurückzuführen
, die ihrerseits in Begriffen beschrieben werden kann, die
nicht
wieder auf Sprachliches Bezug nehmen. Oder, in dem Sinn, in dem ich diese
Begriffe eben eingeführt habe: Sie versucht, die Semantik begrifflich durch eine
Pragmatik zu explizieren, die ihrerseits nicht auf semantisches Vokabular
angewiesen ist. Sie ist daher in ihrem Wesen
reduktionistisch
.
Verschiedene Gebrauchstheorien der Bedeutung lassen sich nun sinnvoll danach
klassifizieren, welche
begrifflichen Ressourcen
sie bei ihrer Beschreibung des
bedeutungsrelevanten Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke jeweils in Anschlag
bringen: So können wir beispielsweise von
behaviouristischen
Theorien der
Bedeutung sprechen, wenn versucht wird, den Gebrauch sprachlicher Ausdrücke
allein in den deskriptiven Begriffen behaviouristischer Verhaltenstheorie zu
charakteriseren. Wir haben es hier mit einer Spielart naturalistischer
Bedeutungstheorien zu tun. Wir können von instrumentalistischen Theorien der
Bedeutung sprechen, wenn Sprachgebrauch primär als eine Form instrumentellen
Handelns aufgefaßt wird, wie bei den Philosophen Paul Grice oder John Searle.
Instrumentalistische Bedeutungstheorien bilden eine Variante des
bedeutungstheoretischen Intentionalismus, der Sprachgebrauch allgemein als eine
Form der Veräußerung der Intentionalität des Geistes betrachtet. Der Glaube, daß
sich Sprachgebrauch in angemessener Weise im Sinne des Behaviourismus
verstehen läßt, war – zumindest unter analytischen Philosophen – in der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts die vorherrschende Ansicht. Zur Zeit scheinen Varianten
des Intentionalismus die (analytische) sprachphilosophische Szene zu dominieren.
Allerdings bestehen gegen Theorien beider Klassen starke Vorbehalte. Während es
behaviouristischen Gebrauchstheorien der Bedeutung bis heute nicht gelungen ist,
die komplexen Zusammenhänge und Strukturen sprachlicher Bedeutung auch nur
annähernd pragmatisch zu rekonstruieren, sehen sich ihre intentionalistischen
Konkurrentinnen oft mit dem Vorwurf der Zirkularität konfrontiert: Intentionalität –
sei es im Sinne der repräsentationalen Eigenschften geistiger Zustände oder im
Sinne des zweckorientierten Handelns – gilt vielen Philosophinnen und Philosophen
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seit dem sogenannten
linguistic turn
als eine Eigenschaft des Menschen, die immer
schon unter Bezug auf seine Sprachfähigkeit verstanden werden muß, und daher
nicht deren Fundament abgeben kann. So lesen wir z.B. bei Michael Dummett
stellvertretend für viele:
Was die analytische Philosophie in allen ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen von
anderen Richtungen unterscheidet, ist erstens die Überzeugung, daß eine
philosophische Erklärung des Denkens durch eine philosophische Analyse der Sprache
erreicht werden kann, und zweitens die Überzeugung, daß eine umfassende Erklärung
nur in dieser und keiner anderen Weise zu erreichen ist.
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III. PROBLEME MIT DEM REGELBEGRIFF
Der Gedanke, daß eine pragmatische Reduktion des Begriffs der sprachlichen
Bedeutung auf Begriffe des Denkens oder der Intentionalität nur scheinbar eine
Reduktion darstellt und sich tatsächlich der Voraussetzung des zu Reduzierenden
schuldig macht, spricht nun
prima facie
ebenfalls gegen den Versuch, sprachliche
Bedeutung durch den Begriff der
Regel
zu explizieren. Denn es ist sicherlich kein
unplausibler Ansatz, Regeln als allgemeine Handlungsanweisungen zu verstehen,
die für eine unbegrenzte Zahl von Entscheidungssituationen eine (oder eine
Teilmenge) der zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen vor den anderen in
einer bestimmten Hinsicht als die angemessene auszeichnen. Regeln würden dann
im Standardfall ihren Ausdruck in Sollens-Sätzen der folgenden Form finden:
(R)
Immer wenn die Bedingungen B vorliegen, sollst du T tun.
3
Von jemandem zu sagen, er folge mit seiner Handlung T einer Regel, muß dann
zwar nicht beinhalten, daß er eine eine entsprechenden Regel
ausdruck kennt
, wohl
aber, daß er über einen
Begriff
von den in Frage stehenden Bedingungen und
Handlungen verfügt, daß es Sinn macht, von ihm zu sagen, er
beabsichtige
, der
Regel zu folgen, und
glaube
, daß die von der Regel genannten Bedingungen
2
M. Dummett:
Ursprünge der analytischen Philosophie
, Frankfurt 1988, S. 11.
3
Wilfrid Sellars hat Imperative dieser Form als »ought-to do's« bezeichnet und darauf
hingewiesen, daß es sich trotz ihrer konditionalen Form nicht um hypothetische Imperative im
Sinne Kants handelt, die eine Handlung immer nur relativ zu einem Wollen vorschreiben – vgl.
W. Sellars: »Language as Thought and as Communication«, in: ders.:
Essays in Philosophy and
its History
, Dordrecht 1974, 93-117, 94.
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